Der Anfang – Familie SillyAls Thomas Fritzsching (Gitarre, Gesang), Matthias Schramm (Bassgitarre), die Keyboarder Ulrich Mann und Manfred Kusno, Schlagzeuger Mike Schafmeier und Sängerin Tamara Danz 1978 eine Band gründen, ahnen sie nicht, dass sie Geschichte schreiben werden, dass sie als die wohl einflussreichste Band der DDR in die Geschichte eingehen werden.
Den Namen für die Band sucht Tamara in einem Wörterbuch und findet ihn in der Übersetzung von „albern“ und „einfältig“. Aber gegen „Silly“ legen die DDR-Behörden bereits ihr erstes Veto ein. Als Anglizismus allein wird es nicht akzeptiert und so wird seitens der Band einfach das Wort Familie vorweg gestellt. In der Anfangsphase spielen „Familie Silly“ Cover-Versionen aktueller Hits und tingeln damit ziemlich erfolgreich durch verschiedene Tanzlokale des Landes bis hin zur Schwarzmeerküste und nach Norwegen. In Rumänien erlangen sie sogar Star-Status. Die Fans reisen von weit an, um die Familie Silly hier zu erleben. Aber mit gecoverten Hits wollte die Band auf Dauer nicht unterhalten, und so beginnen sie, an eigenen Songs zu arbeiten.
Die Westberliner Hansa-Musik veröffentlicht 1981 dann das erste Album „Tanzt keiner Boogie?“, bevor die Amiga dann auch in der DDR nachzieht. Der bekannteste Hit dieses Albums ist „Der letzte Kunde“, gesungen von Mike Schafmeier, der später dann zu MTS wechselt und diesen Titel als den seinen „mitnimmt“.
Mit dem Song „Gut´ Nacht, Amigo“ gewinnt Silly als Vertreter der DDR im selben Jahr den Grand Prix der Bratislavska Lyra, einen der bedeutendsten Schlagermusikpreise der RGW-Staaten, und Tamara selbst wird bereits 1981 zum ersten Mal zur „ Rocklady Nr.1 der DDR“ gekürt.
Ritchie Barton kommt und „Mont Klamott“ bringt den Wandel1982 stößt Rüdiger „Ritchie“ Barton zur Band, der bereits seit 2 Jahren mit Tamara liiert ist und zuvor bei „City“ spielte. Er ersetzt die Keyboarder Manfred Kusno und Ulrich Mann und bringt eine gehörige Portion frischen Wind mit.
Ritchie kommt und das „Familie“ geht. Beim zweiten Album verzichtet Silly auf ihr ungewolltes familiäres Vorwort und setzt sich damit auch bei den DDR-Behörden durch. „Mont Klamott“ wird 1983 demnach nur noch mit Silly unterschrieben. Dieses Album läutet für die Band ein neues Zeitalter ein und bringt den großen Durchbruch. Silly wird plötzlich ernst genommen. Der Titel „Platte des Jahres“ ist absolut verdient und auch Tamara wird erneut „Sängerin des Jahres“. Der Weg war geebnet.
Mike Schafmeier verlässt 1984 die Band und Herbert Junck wird sein Nachfolger am Schlagzeug. Das im gleichen Jahr geplante Album „Zwischen unbefahr´nen Gleisen“ fällt komplett der DDR-Zensur zum Opfer und erscheint erst 1985 abgeändert und unter dem Namen „Liebeswalzer“. Auch dieses Album wird wieder „LP des Jahres“ und Tamara zum wiederholten Male „Sängerin des Jahres“. Silly ist nicht mehr aufzuhalten, hat einen erfolgreichen Wandel vollzogen, mit „Mont Klamott“ eine neue Richtung eingeschlagen und sich längst und überaus verdient einen Platz in der obersten Rock-Liga gesichert. Gekonnt verschlüsseln sie in ihren Texten, die hauptsächlich von Werner Karma stammen, Botschaften, in denen ihr Standpunkt bezogen auf gesellschaftspolitische Probleme in der DDR deutlich wird. Um diese politisch unliebsamen Texte durch die Zensur zu bekommen, werden sogenannte „Grüne Elefanten“ eingebaut. Das waren übertrieben kritische und inakzeptable Textstellen, die auf gar keinen Fall befürwortet werden konnten. Die Behörden hatten mit der Streichung dieser Passagen ihren Job erfüllt, und die eigentliche Botschaft blieb somit erhalten.
1986 – Jäcki und Uwe steigen ein und „Bataillon d`Amour“ sprengt alle Rekorde
Hans-Jürgen „Jäcki“ Reznicek von „Pankow“ ersetzt 1986 den Bassisten Matthias Schramm.
Für die Produktion der „Bataillon d`Amour“ soll ein Fretlessbass eingesetzt werden, den Matthias Schramm weder besitzt noch spielen kann. Jäcki springt ein und bleibt.
„Bataillon d`Amour“ verkauft sich allein in der DDR 300.000 Mal, wird ebenso wie die Vorgängeralben „Platte des Jahres“ und zudem noch mit der „Goldenen Amiga“ ausgezeichnet. Es wird das erfolgreichste Album in den Medien, Silly zur „Band des Jahres“ gekürt und Tamara darf sich nun mittlerweile zum 4. Mal „Sängerin des Jahres“ nennen. Dieses Album durchbricht für die Sillys sogar die Mauer und lässt Auslandskonzerte im Terminkalender erscheinen. Somit spielen sie 1986 ihre ersten Konzerte in Finnland und in der Bundesrepublik.
Das Projekt „Gitarreros“ führt im selben Jahr Uwe Hassbecker, der bei „Stern Meißen“ spielte, und Tamara zusammen. Sie lernen sich hier nicht nur kennen, sondern auch lieben, Mit dem Segen von Ritchie Barton stößt auch er 1986 als Gitarrist und Geiger zur Band.
Der Texter Werner Karma gehört nunmehr fest zu Sillys Background und ist nicht mehr wegzudenken. Seine Handschrift in den Liedern ist wesentlicher Erfolgsgarant für die Band. In ihren populären Texten thematisieren sie kompromisslos den Drang nach Freiheit, die Sehnsucht nach der Ferne, nach besseren Zeiten, nach Perspektiven. Niemand anderes bringt dies gezielter, gekonnter und mutiger zum Ausdruck. Sie sprechen die Sprache des Publikums, die Sprache ihrer Fans, die wachsam und sensibel die Botschaften erkennen. Silly weiß bereits damals, wie man nicht immer und zu allem JA sagt und lässt sich nicht in ein diktatorisches Schema pressen. So vermeiden sie es zum Beispiel, auf Politveranstaltungen aufzutreten, und setzen damit ein Zeichen.
Silly hatte sich einen Status erarbeitet, der ihnen Vieles erlaubte. 1987 folgen weitere Auslandstourneen, unter anderem in der Schweiz, in Frankreich und in Portugal.
1988 wirkt Silly in dem Dokumentarfilm „Flüstern und SCHREIEN - ein Rockreport“ mit, in dem verschiedene, die Zeitgeschichte prägende DDR-Rock-Musiker portraitiert werden.
Werner Karma geht, die Wende kommtIm darauf folgenden Jahr kommt es zum Bruch mit Werner Karma. Tamaras und Werners Vorstellungen driften immer öfter und zu weit auseinander. Keiner der beiden ist kompromissbereit. Es geht nicht mehr. Auf dem 1989 erscheinenden Album „Februar“ sind nur noch zwei Texte von ihm. Tamara Danz versucht sich nun, geschult durch die langjährige Zusammenarbeit mit Werner Karma, selbst als Texterin und nimmt sich Gerhard Gundermann zu Hilfe.
„Februar“ ist ein besonderes Album. Zum Jahresende 1988 hat niemand eine Idee, wie diese LP heißen soll. Der Erscheinungstermin ist für den Februar 1989 angesetzt und 6 Wochen vorher muss ein Titel her. Warum dann nicht „Februar“? Tamara gefällt das sofort. Der Februar riecht manchmal schon nach Frühling, nach Aufbruch. Aber welch ein Aufbruch bevorsteht, ahnt zu dieser Zeit noch keiner. Als Co-Produktion der beiden großen Plattenfirmen von Ost und West Amiga und Ariola wird plötzlich die Zensur ausgeklammert. Die „Grünen Elefanten“ werden überflüssig, was zur Folge hat, dass die Texte vor DDR-politischer Kritik nur so strotzen. „SOS“ hätte gewiss als alleinige Amiga-Produktion der Zensur nicht Stand gehalten. „Februar“ erscheint in der DDR trotzdem erst im März. Die Reichsbahn legt Beschwerde ein, wegen der Textzeile
„…es geht ein Gespenst in der Mitropa um…“, ohne Erfolg. Für viele gilt „Februar“ bis heute als Soundtrack zur Wende.
Tamara bezieht weiterhin und über die Musik hinaus politisch Stellung. Sie ist Mitinitiatorin und Erstunterzeichnerin der „Resolution der Rockmusiker und Liedermacher“ an die DDR-Regierung, in der die Zulassung von oppositionellen Gruppen und politischen Reformen gefordert wird. Vor ihren Konzerten verliest Tamara verbotenerweise den Text. Zudem beteiligt sie sich an diversen „Runden Tischen“ zur Reform der DDR.
Die Wende bringt allerdings auch für Silly ernüchternde Probleme mit sich. Konzerte werden abgesagt, Konzertagenturen brechen weg, das Interesse der Leute geht in Richtung der untergehenden Sonne. Alles, was aus dem „Osten“ kommt, ist nicht angesagt und muss dem westlichen Einfluss in vielerlei Hinsicht weichen. Silly spielt ihre bereits gebuchten Auslandskonzerte, denn diese haben bei all dem innerdeutschen Chaos Bestand. Sogar in den USA, in Chicago, treten sie auf. Und der Erfolg der letzten Jahre, lässt sie die schwierige Anfangszeit der Neuen Deutschen Zeitrechnung gut überstehen.
1990 entdecken Tamara Danz, Ritchie Barton und Uwe Hassbecker die Produzenten in sich und produzieren u.a. Gundermann & Seilschaft.
1993 entsteht dann das erste gesamtdeutsche Silly-Album „Hurensöhne“ mit vorwiegend eigenen Texten von Tamara. Ein absolut authentisches Silly-Album, auch wenn nach der Wende plötzlich andere Maßstäbe gesetzt werden. Die Marktwirtschaft zwingt viele zur Anpassung, in welche Richtung auch immer. Silly aber bleibt sich treu und orientiert sich weiterhin am Zeitgeschehen und thematisiert zeitaktuelle gesellschaftliche Probleme. Sie wahren ihre inhaltlichen Ansprüche und weisen seichte Textvorschläge, die ihnen seitens kommerziell orientierter Produzenten unterbreitet werden, entschieden zurück. Tamara ist hierbei die treibende Kraft, sie geht weiterhin unkonventionelle Wege, und die Männer, die sie im Rücken hat, gehen mit. Beim Album „Hurensöhne“ treten Ritchie Barton, Uwe Hassbecker und Tamara Danz erstmals als Produzenten in eigener Sache in Erscheinung.
1994 verlässt auch Thomas Fritzsching als letztes männliches Gründungsmitglied die Band.
Unüberwindbare Differenzen in der Zusammenarbeit und der Umsetzung der Ziele gelten als Ursache. Ebenfalls in diesem Jahr spielen Silly gemeinsam mit Gundermann & Seilschaft ein unplugged-Konzert im Lindenpark Potsdam, und es entsteht ein Doppel-Live-Album, welches 1999 unter dem Titel „Silly + Gundermann & Seilschaft“ erscheint.
Produktionstechnische Unabhängigkeit erlangen Silly, als sie 1994 ihr eigenes „Danz-Musik-Studio“ bauen.
ParadiesIhr erstes, im eigenen Studio produziertes Album ist „Paradies“, gleichwohl ist es das letzte mit Tamara. Mitten in der Produktion zum wohl schönsten und emotionalsten Silly-Album, für welches Tamara erstmalig komplett alle Texte selbst schreibt, erhält sie 1995 die Diagnose Brustkrebs.
Die Ironie des Schicksals macht auch vor Silly nicht halt. Man mag es kaum glauben, aber Tamara verfasst alle Texte der „Paradies“ noch bevor sie von ihrer Erkrankung überhaupt erfährt. Texte wie
„…ein Sturm hat mich hinausgetragen auf das Meer, das Meer der Ewigkeit…“, oder
„… das Einzige was mir noch droht, ist ein Leben, noch so ein Leben nach dem Tod…“.
Zu Beginn des Jahres 1996 heiraten Uwe Hassbecker und Tamara Danz. Im Frühjahr erscheint die „Paradies“ und am 22. Juli stirbt Tamara mit nur 43 Jahren in den Armen ihres Ehemannes. Und mit ihr stirbt auch Silly…
Die beiden Best-of-Alben, die in den Jahren 1996 und 1997 erscheinen, gehen noch einmal in die Top Ten. Dann bleibt es verdammt lange still.
Wohin des Wegs?Nach dem schmerzlichen Verlust von Tamara betäuben sich die Männer der Band mit Arbeit.
Ritchie Barton und Uwe Hassbecker werden als Produzenten und Studiomusiker für andere Künstler, z.B. City oder Joachim Witt, tätig. Jäcki Reznicek wird unter anderem Dozent an der Dresdner Musikhochschule.
Das ComebackAm 31. Mai 2005 stirbt auch Schlagzeuger Herbert Junck an Krebs. Trotzdem starten die Sillys im Sommer desselben Jahres einen Comeback-Versuch mit dem Projekt „Silly & Gäste“. Neben Gastmusikern wie IC Falkenberg, Toni Krahl, Dirk Zöllner, Anja Krabbe oder auch Katy Karrenbauer tritt nun auch der Sillynachwuchs in Erscheinung. Jäcki Rezniceks Sohn Sebastian ist am Schlagzeug zu erleben und Daniel Hassbecker, der Sohn von Uwe, am zweiten Keyboard, an der Gitarre und dem Cello. Als Quereinsteiger dieses Projektes macht Anna Loos, eine singende Schauspielerin, plötzlich von sich reden.
Als sie auf die „Jungs“ der Band trifft, ist es vertraute Heimat ab dem ersten Moment. Sie fühlt sich zu Hause. Sie fühlt sich angekommen in ihrer Musik. Als 15jährige kauft sich Anna für 16,10 Mark ihre erste Schallplatte. Es ist „Bataillon d´Amour“. Fasziniert von der Ikone Tamara Danz und begeistert von diesem grandiosen Album avanciert sie zum Silly-Fan. Mit ihrem Vater geht sie zu Konzerten und die Songs brennen sich bei ihr ein und lassen sie nicht mehr los.
Beim „Vorsingen“ im Tonstudio in Münchehofe im Herbst 2005 braucht sie keinen Textzettel. Sie kann alle Lieder in- und auswendig und beeindruckt damit die Silly-Herren enorm.
Anna beschließt nach erfolgreichem „Silly & Gäste“-Einstieg, es allein versuchen zu wollen. Sie wagt das Unmögliche: Sie will die große Tamara Danz ersetzen. Die Elektro-Akustik-Tour 2006 wird für sie zur Feuertaufe. Nach anfänglicher Skepsis der Sillyfans gewinnt sie dann doch ganz bald die Herzen des Publikums. Schnell wird deutlich, sie will Tamara nicht kopieren, sie will sie nicht vergessen machen. Nein, sie will an sie erinnern und sie trägt Tamaras Seele voller Respekt und Würde in ihrem Herzen. Sie hat nicht einen einzigen Moment daran gezweifelt, das Erbe der einzigartigen Tamara Danz anzunehmen. Sie ist wohl die Richtige.
10 Jahre nach Tamaras Tod wird in Berlin/Friedrichshain eine Straße nach ihr benannt. Mit einem Konzert vor Ort, bei dem Anna Loos Tamaras Lieder singt, wird der charismatischen Rocklady gedacht. Seit dem 16. November 2006 gibt es nun in Berlin die Tamara-Danz-Straße.
Silly nehmen 2007 mit ihrer neuen Frontfrau an dem Projekt „Ostrock in Klassik“ teil. Neben den Puhdys, Karat, Ute Freudenberg, Dirk Michaelis, Werther Lohse und Veronika Fischer tragen sie maßgeblich zum Erfolg des Projektes bei, welches 2009 mit der goldenen DVD ausgezeichnet wird.
Nebenher arbeitet die Band nun gemeinsam mit Anna Loos am neuen Silly-Kapitel, am neuen Album. Und auch hier versucht Anna das scheinbar Unmögliche. Mit dem Wissen, dass Werner Karma der einzig wahre Texter ist, der den Silly-Ansprüchen gerecht wird, überzeugt sie ihn, für die Lyrik von „Alles Rot“ wieder verantwortlich zu zeichnen.
2008 steuert Silly die Musik zu Bernd Böhlichs Film „Der Mond und andere Liebhaber“ bei. Der komplette Soundtrack hierfür stammt von Silly und auch in einer Gastrolle sind sie zu erleben.
2009 wird eine Folge Soko Leipzig mit dem Titel „Silly – Tod im Konzert“ gedreht und im Februar 2010 ausgestrahlt. Diese Folge der erfolgreichen Serie macht auf das bevorstehende Comeback der DDR-Kultband gesamtdeutsch aufmerksam und bringt Silly 2010 mit einem ersten Vorgeschmack auf „Alles Rot“ am 5. Februar in die deutschen Wohnzimmer.
Als am 19. März 2010 in den Plattenläden ein neues Silly-Album Platz findet, ist die Welt ein bisschen roter, und die deutschsprachige Musikwelt um ein grandioses Rockalbum reicher.
„Alles Rot“ ist der schlichte Titel. Dabei stehen die Zeichen mehr auf grün, auf Durchstarten, auf einen Neuanfang, auf einen Aufbruch in eine spannende und ungewisse Zukunft. Für die Fans ein großer Tag, der 19. März, für die Band selbst ein wohl noch größerer, denn es gab Zeiten, in denen sie selbst nicht mehr daran geglaubt haben.
Auch wenn der viel zu frühe Tod Tamaras die letzte Spielregel des Lebens immer wieder aufs Neue schmerzhaft offenbart: Wer tot ist, kommt nicht zurück! Silly hat diese Regel für sich gebrochen und ihr Versprechen an Tamara damit eingelöst. Silly ist wieder da.
Yvonne Zarski