...hab mal wieder versucht, meine Eindrücke vom Auftaktkonzert der diesjährigen O.R.K.-Tour in der Berliner Wuhlheide zu "Papier" zu bringen...
Ostrock in Klassik – die DritteWenn die Puhdys rufen, kommen sie alle. Am 11. September 2010 war es nun schon zum dritten Mal soweit. Das Beste, was der „Osten“ auf musikalischem Terrain aus längst vergangenen Zeiten zu bieten hat, folgte dem Ruf der Initiatoren, der Puhdys, um harte Rockarrangement mit edlen Klängen der klassischen Musik des Babelsberger Filmorchesters zu verknüpfen. Ein Cross-Over-Projekt der ganz besonderen Art. Auch im zwanzigsten Jahr nach der Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands findet die gute „alte Ostmucke“ Gehör.
Einige Protagonisten sind jedoch deutlich in die Jahre gekommen und wirken angesichts ihrer langen, ergrauten und mittlerweile auch immer dünner werdenden Haare ein wenig albern hinter ihren Bass- und E-Gitarren. Sie wirken steif und leicht unbeholfen. Andere wiederum haben das Rocken nicht verlernt, genießen sichtlich den Event, ziehen das Publikum in ihren Bann und holen mit Klassikern wie „Über 7 Brücken“ (Karat), „Am Fenster“ (City) oder „Langeweile“ (Pankow) Erinnerungen zurück.
Auch Rockhaus darf sich in diesem Jahr, ganz zur Freude ihrer selbst, dazugehörig fühlen. Hatte Mike Kilian beim letzten Projekt dieser Art lediglich die beiden Titel „Apfeltraum“ (eigentlich von Renft) und sein eigenes „I.L.D.“ für die 2009 veröffentlichte CD eingesungen, treten Rockhaus heute gleich als Opener in Erscheinung und rocken als erstes Highlight die Bretter, die am heutigen Abend den Sound aus Kinder- und Jugendtagen derer, die gekommen und damit groß geworden sind, in die Berliner Wuhlheide tragen. Sie legen mit einem sorgfältig ausgewählten Trio ihrer Hits „Bleib cool“, „Mich zu lieben“ und „I.L.D.“ die Meßlatte verdammt hoch an. Ein grandioser Mike Kilian überzeugt mit absoluter Authentizität und verzaubert mit seiner einzigartigen und unverwechselbaren Stimme das Auditorium. Der Auftakt in die Ostrock-Nacht ist damit mehr als geglückt.
Die Bands und Solisten kündigen sich, wie traditionell gewohnt, auch hier und heute wieder gegenseitig an und landen überraschenderweise bei dieser dritten Ostrock-Tour bei einer gerade mal 1,55m großen Angelika Mann, die mit ansteckend guter Laune die Bühne betritt und sofort auf geschätzte 17.000 Sympathisanten im Publikum trifft. Voller Power und glücklich, ein Teil des Ganzen zu sein, schmettert sie den Nina-Hagen-Klassiker „Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael“ in die Berliner Nacht, als wäre er eigens für sie geschrieben worden. So ´ne kleine Frau – die LÜTTE, aber ganz großes Entertainment!
Ostrock in Klassik 2010 hat einiges an hochkarätigen Musikern zu bieten – keine Frage. Die Puhdys als Urgesteine der DDR-Rockmusik überhaupt. Karat, die mit Claudius Dreilich eins zu eins an dessen Vater Herbert und somit an die von Erfolgen gekrönte Vergangenheit der Band erinnern. Renft, die mit „Wer die Rose ehrt“ die Brücke zum ersten Ostrock-in-Klassik-Projekt schlagen. Oder auch Electra, die mittels der Stimme von Stephan Trepte den vielleicht größten Schatz ihrer Vergangenheit „Nie zuvor“ auspacken und in Gestalt von Bernd Aust ein bisschen „lokomotive breath“ in den spätsommerlichen Abend schicken. Aber das wohl Schönste, was der Ostrock in diesem Jahr auf der Kindl-Bühne zu bieten hat, und was gleichzeitig enorm für die doch recht geringe Frauenquote sorgt, haben die SILLYs im Gepäck – Anna Loos.
In Gegensatz zur ersten Ostrock-Tour, bei der sie noch durch ein UND getrennt von Silly präsentiert wurde, wird hier und heute ganz klar deutlich, dass sie nunmehr ein fester Teil des Ganzen ist. Ein einziges Wort bringt die Band, die gerade Gold für ihr aktuelles Album „Alles Rot“ erhalten hat, auf die Bühne – SILLY!!!!
Die Brücke zur Vergangenheit betreten sie mit dem wundervoll klassisch arrangierten Stück „Mont Klamott“, welches vom Publikum textsicher und lautstark mitgerockt wird und in einem meisterlichen Gitarrensolo Uwe Hassbeckers gipfelt. Ein ganz klares Zeichen setzend, dass ihr Blick allerdings in Richtung Zukunft geht, dass sie wieder da sind, dass sie durch Anna Loos die „neuen Sillys“ sind und nicht nur das „Alte“ wieder aufwärmen, leiten sie mit der absolut orchestertauglichen Frage „Warum ich?“ sofort zum neuen Silly-Kapitel über, bevor sie schlussendlich mit der brandaktuellen erschienenen Orchesterversion von „Alles Rot“ zeigen, was gute Rockmusik ist und was nach all diesen Jahren der Silly-Zwangspause noch immer in ihnen steckt. Lässt sich das Publikum anfänglich etwas zurückhaltend auf die neuen Silly-Klänge ein, hat die Stimmung beim ALLES ROTen Titelsong ihren Höhepunkt erreicht. Der gesamte „Kessel“ der Kindlbühne in der Wuhlheide folgt voller Begeisterung Annas Aufforderung, die Hände in die Höhe zu reißen und allen zu zeigen, dass in jedem Einzelnen „alles rot“ ist. Ein lohnender Anblick. Respekt Frau Loos!
Als im zweiten Teil fünf Herren ganz in weiß, wie die Unschuld selbst, die Ostrock-Bühne betreten, ist das nächste Highlight des Abends gesichert. Lauthals und bestimmt verkünden sie mit einem breiten Grinsen auf dem immer noch jugendlichen Gesicht ihre Botschaft …wir sind immer noch hier!... mit ihrem ersten Titel „Amerika“, sorgen mit Pyrotechnik für tolle Effekte am Nachthimmel über den Köpfen der Fans und gehen natürlich nicht von der Bühne ohne ihren Klassiker „Am Fenster“ und dem in Berlin unverzichtbaren „z.B. Susann“. Meisterlich gekonnt ziehen sie nicht nur die Fans, die heute wegen ihnen da sind, mit, sondern begeistern mit ihrer ausgelassenen Freude am Dasein auf den Brettern, die Musik bedeuten, uneingeschränkt alle anwesenden Fans guter deutscher Rockmusik – mitten in der City…
Für die leiseren Töne in der nun mittlerweile dunklen aber sternenklaren Nacht über der Wuhlheide sorgt u.a. Dirk Michaelis. Sein Riesenhit „Als ich fort ging“ darf nicht fehlen, wenn es um die besten Hits der Rockmusik aus DDR-Tagen geht. Er braucht nicht viel TamTam, um zu überzeugen. Er ist einfach nur da und schleicht sich ganz leise unter die Haut, als er (fast schon schüchtern) um zwei Minuten Stille bittet. Zu den Sternen am Himmel gesellen sich zahlreiche Wunderkerzen und Feuerzeuge, die diesen wundervollen Song damit zu etwas Besonderem machen.
Bei Ostrock in Klassik ein wenig fehl am Platz, erscheint inmitten des Songs ein Michael Hirte und begleitet den einstigen Karussell-Sänger zu den letzten Akkorden mit der Mundharmonika. Wer´s mag?!
Die Puhdys bilden natürlich traditionell den Schluss des Ganzen. „Maschine“ richtet ein paar Worte an das Publikum und merkt an, dass es schwierig sei, bei dem Repertoir, welches die meisten Akteure des Abends vorzuweisen haben, die richtigen drei Titel auszusuchen. Welch wahre Worte!
Die Puhdys selbst entscheiden sich für „Ich will nicht vergessen“, „Perlenfischer“ und wie sollte es anders sein für die „…Eisbärn…“ und haben wie gewohnt gerade bei letzterem Titel einen Chor von annähernd 17.000 Menschen zu ihren Füßen.
Gewiss hat nicht alles den Geschmack eines Jeden getroffen und manch Einer hätte sich wohl andere Songs gewünscht. Aber unterm Strich war es ein gelungener Abend, dieses „Klassentreffen“ der Rockgrößen des „Ostens“. Perfekt wäre es jedoch gewesen, wenn nicht zwei bedeutende Dinge gefehlt hätten.
Zum großen Unverständnis Vieler gab es kein gemeinsames Lied, kein „all together“, wie es bei den beiden Projekten zuvor der Fall war. Ein Jürgen Karney beendete in seiner Funktion als Moderator abrupt den Abend mit ein paar wenigen Worten des Dankes unmittelbar nach dem Auftritt der Puhdys, die dadurch kaum wirklich Gelegenheit hatten, sich vom Publikum und den Fans zu verabschieden. Kein Finale, nichts! Ein Umstand, der ein klein wenig die grandiose, zuvor aufgebaute Stimmung, zu der uneingeschränkt alle Beteiligten beitrugen, kaputt machte.
Das Zweite, was fehlte, war Ute Freudenberg. Sie gehört zum Ostrock-Projekt wie die „Jugendliebe“ zu ihr. Schade, dass sie ihren Charme bei diesem Auftaktkonzert der dritten Ostrock-Tour in der Berliner Wuhlheide nicht versprühen konnte…
Yvonne Zarski